Der Verzehr süß schmeckender Nahrungsmittel oder Getränke verstärkt nicht die Vorliebe für Süßes

Die Hypothese vom „süßen Zahn“ wurde in einer neuen Übersichtsstudie untersucht und zurückgewiesen

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Hinweise aus Humanstudien unterstützen nicht die weit verbreitete Annahme, dass die Exposition gegenüber Süße den „süßen Zahn“ verstärkt, wie eine Übersicht über zahlreiche Studien zeigt
  • Nach dem Verzehr eines süß schmeckenden Nahrungsmittels oder Getränks ist der Wunsch nach Süßem und der Verzehr desselben oder eines anderen süßen Nahrungsmittels niedriger. Dieses bestens etablierte Phänomen ist als wahrnehmungsspezifische Sättigung bekannt
  • Kalorienarme/kalorienfreie Süßstoffe können dazu beitragen, den Wunsch nach Süßem mit weniger Kalorien zu befriedigen

 

Landläufig gilt die Überzeugung, dass unser Verlangen nach Süßem immer größer wird, je mehr wir in der Ernährung süß schmeckenden Nahrungsmitteln oder Getränken ausgesetzt sind. Diese Hypothese ist auch als „Süßer-Zahn“-Effekt bekannt. Doch im Gegensatz zu dieser weit verbreiteten Annahme, die in der Literatur und in der öffentlichen Gesundheitspolitik oft als Tatsache dargestellt wird, zeigen die Hinweise aus zahlreichen Studien keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Süßeexposition und „süßem Zahn“ auf.

Um beurteilen zu können, ob die Hypothese vom „süßen Zahn“ wissenschaftlich begründet ist, hat eine kürzliche Studie alle jüngsten Forschungen überprüft, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Süßeexposition und einer daraus entstehenden Vorliebe bei Erwachsenen und Kindern beschäftigen, und diese Ergebnisse mit den Ergebnissen aus zuvor veröffentlichten systematischen Überprüfungen verglichen.1 Dieser Artikel stellt die Schlussfolgerungen dieser neuen Revisionsstudie vor und beleuchtet weiter die Rolle der kalorienarmen/-freien Süßstoffe im Umgang mit dem Wunsch nach süßem Geschmack.

 

Eine neue Revisionsstudie zeigt: die Hinweise untermauern nicht die Hypothese des „süßen Zahns“

In einer vor kurzem im British Journal of Nutrition 1 veröffentlichten Studie überprüften David J. Mela und Davide Risso alle neueren klinischen Interventionsstudien und prospektiven Kohortenstudien, die sich mit der Süßeexposition und einer daraus entstehenden Vorliebe beschäftigen und nach der systematischen Revision von Appleton et al (2018)2 veröffentlicht wurden, dem bis dahin letzten Revisionspapier zu diesem Thema.

Insgesamt wurden fünfzehn klinische kontrollierte Studien identifiziert und in die Revision aufgenommen, die die Exposition gegenüber gesüßten Nahrungsmitteln und Getränken messen oder sich damit beschäftigen und ausdrücklich eine Bestimmung der Vorliebe für Süßes nach dieser Exposition vornehmen. Keine dieser elf Interventionen, die eine akute oder anhaltende Exposition gegenüber dem süßen Geschmack beinhalteten, stellte eine Zunahme bei der gemessenen Vorliebe für den süßen Geschmack fest. Tatsächlich senkt die akute Exposition gegenüber Süßem im Allgemeinen den Wunsch nach und die Vorliebe für Süßes und andere süße Reize; dieses bestens bekannte Phänomen wird als wahrnehmungsspezifische Sättigung bezeichnet. Eine anhaltende Exposition zeigte keine signifikanten oder widersprüchliche Wirkungen. Vier Versuche zu den Wirkungen der Exposition gegenüber süßen bzw. nicht süßen Produkten, gefolgt von der Beurteilung der Vorliebe für Süßes oder der Wahl innerhalb desselben Produktformats, ergaben ein gemischtes Ergebnismuster, im Wesentlichen keine signifikanten Auswirkungen der Süßeexposition oder uneinheitliche Ergebnisse. Die drei betrachteten Kohortenstudien bei Kleinkindern und Kindern berichteten ebenfalls über keine signifikanten Assoziationen zwischen der Exposition gegenüber Süßem und dem Ausmaß der Vorliebe für den süßen Geschmack.

Diese Schlussfolgerungen sind vergleichbar mit den Forschungen bei Erwachsenen und Kindern zu kalorienarmen/-freien Süßstoffen und Zucker, und das sowohl bei Interventionsstudien als auch bei Kohortenstudien.1 Drei vorherige systematische Übersichten, einschließlich der neusten Überprüfung von Appleton und Kollegen, sind alle zu vergleichbaren Schlussfolgerungen gelangt, nämlich dass die aktuelle Evidenzlage die weithin verbreitete Überzeugung nicht unterstützt, wonach die Exposition gegenüber Süßem den „süßen Zahn“ fördern kann.2,3,4

Insgesamt gesehen und in Übereinstimmung mit vorherigen Revisionsarbeiten unterstützten die Hinweise aus der jüngsten Forschung keine Verbindung zwischen der Süßeexposition und einer nachfolgenden Vorliebe für den süßen Geschmack.1 Es gibt zwar ausreichende Hinweise darauf, dass ein zu hoher Zuckerverzehr nachteilige Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann,5 doch gibt es keinen Beweis dafür, dass eine Senkung der Exposition gegenüber Zucker in der Ernährung ganz allgemein, einschließlich der Süße aus kalorienarmen/-freien Süßstoffen, eine Anpassung an eine geringere Vorliebe für Süßes und einen niedrigeren Zuckerverzehr erleichtern würde. Weitere Studien zu diesem Thema sind noch im Gange.6 Die Leitlinien der öffentlichen Gesundheit sollte also vorsichtig beim Äußern von Annahmen sein, die nicht von wissenschaftlichen Beweisen gestützt werden.

 

Die Rolle kalorienarmer/-freier Süßstoffe im Umgang mit unserem Wunsch nach dem süßen Geschmack

Es ist weithin bekannt, dass die Vorliebe für Süßes einen angeborenen Ursprung hat. Alle Menschen zeigen zwar unmittelbar nach der Geburt dieselbe Reaktion auf Süßes, doch diese Vorliebe für Süßes verändert sich mit der Zeit und nimmt eine stark idiosynkratische Ausprägung mit großen interindividuellen Unterschieden bei Erwachsenen an.4 Manche Forschungen legen nahe, dass die Menschen eines von drei phänotypischen Reaktionsmustern auf Süßes annehmen: Menschen, deren Vorliebe mit der Intensität der Süße zunimmt (die Süßes mögen), Menschen mit einer zunehmenden Abneigung bei zunehmender Süße (die Süßes nicht mögen), und eine dritte Gruppe mit einer Vorliebe für eine mäßig intensive Süße.7  Aus diesem Grund sollte der Umgang mit dem Wunsch nach süßem Geschmack bei gleichzeitiger Einschränkung eines zu hohen Zuckerkonsums auf einem individuell abgestimmten Ernährungsziel beruhen. Das ist besonders wichtig für Menschen, die eine zunehmende Vorliebe für Süßes haben und/oder eine große Menge an Zucker verzehren.

Forschungen haben gezeigt, dass der Verzehr kalorienarm/-frei gesüßter Nahrungsmittel oder Getränke den Wunsch nach Süßem befriedigen und Menschen dabei helfen kann, den Verzehr von süß schmeckenden Nahrungsmitteln und Getränken akut 8,9 oder über einen längeren Zeitraum 10,11,12 zu senken. Es wurde auch gezeigt, dass der Verzehr kalorienarm/-frei gesüßter Getränke manchen Menschen dabei helfen kann, die Gier nach Essen zu kontrollieren und mehr Freude am Essen zu haben.13 Forschungen bestätigen auch durchgehend, dass die Verwendung kalorienarmer/kalorienfreier Süßstoffe zu einer Senkung der Zucker- und Energieaufnahme beitragen und im Gegenzug einen mäßigen Gewichtsverslust unterstützen kann, wie systematische Übersichtungen und Metaanalysen von kontrollieren Humanstudien durch die WHO und andere Forschungen festgestellt haben.14,15

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die aktuellen Evidenzen die Vorstellung nicht unterstützen, wonach eine Exposition gegenüber dem süßen Geschmack im Allgemeinen, und gegenüber kalorienarmen/-freien Süßstoffen im Besonderen, zu einer verstärkten Vorliebe für Süßes oder zu einem höheren Verzehr süßer Produkte führen kann. Ganz im Gegenteil können kalorienarme/-freie Süßstoffe in vielen Fällen dazu beitragen, den Wunsch nach Süßem zu befriedigen und den Verzehr von Zuckern und Kalorien zu senken.

  1. Mela DJ, Risso D. Does sweetness exposure drive ’sweet tooth‘? Br J Nutr. 2024 Feb 26:1-11. doi: 10.1017/S0007114524000485
  2. Appleton KM, Tuorila H, Bertenshaw EJ, de Graaf C, Mela DJ. Sweet taste exposure and the subsequent acceptance and preference for sweet taste in the diet: systematic review of the published literature. Am J Clin Nutr. 2018;107:405–419
  3. Nehring I, Kostka T, von Kries R, Rehfuess EA. Impacts of in utero and early infant taste experiences on later taste acceptance: a systematic review. J Nutr. 2015 Jun;145(6):1271-9
  4. Venditti C, Musa-Veloso K, Lee HY, et al. Determinants of Sweetness Preference: A Scoping Review of Human Studies. Nutrients. 2020 Mar 8;12(3):718
  5. EFSA NDA Panel (EFSA Panel on Nutrition, Novel Foods and Food Allergens). Scientific Opinion on the Tolerable upper intake level for dietary sugars. EFSA Journal. 2022;20(2):7074, 337 pp. https://doi.org/10.2903/j.efsa.2021.7074
  6. Čad EM, Tang CS, de Jong HBT, Mars M, Appleton KM, de Graaf K. Study protocol of the sweet tooth study, randomized controlled trial with partial food provision on the effect of low, regular and high dietary sweetness exposure on sweetness preferences in Dutch adults. BMC Public Health. 2023;23(1):77
  7. Iatridi V, Hayes JE, Yeomans MR. Quantifying Sweet Taste Liker Phenotypes: Time for Some Consistency in the Classification Criteria. Nutrients. 2019;11(1):129
  8. Rogers PJ, Ferriday D, Irani B, Hei Hoi JK, England CY, Bajwa KK, et al. Sweet satiation: Acute effects of consumption of sweet drinks on appetite for and intake of sweet and non-sweet foods. Appetite. 2020;149:104631
  9. Appleton KM, Rajska J, Warwick SM, Rogers PJ. No effects of sweet taste exposure at breakfast for 3 weeks on pleasantness, desire for, sweetness or intake of other sweet foods: a randomised controlled trial. Br J Nutr. 2021 Jun 25:1-11. doi: 10.1017/S000711452100235X. Epub ahead of print
  1. de Ruyter JC, Katan MB, Kuijper LDJ, Liem DG, Olthof MR. The effect of sugar-free versus sugar-sweetened beverages on satiety, liking and wanting: An 18 month randomized double-blind trial in children. PlosOne. 2013;8:e78039
  2. Piernas C, Tate DF, Wang X, Popkin BM. Does diet-beverage intake affect dietary consumption patterns? Results from the Choose Healthy Options Consciously Everyday (CHOICE) randomized clinical trial. Am J Clin Nutr. 2013;97:604-611
  3. Fantino M, Fantino A, Matray M, Mistretta F. Beverages containing low energy sweeteners do not differ from water in their effects on appetite, energy intake and food choices in healthy, non-obese French adults. Appetite. 2018;125:557-565
  4. Maloney NG, Christiansen P, Harrold JA, Halford JCG, Hardman CA. Do low-calorie sweetened beverages help to control food cravings? Two experimental studies. Physiol Behav. 2019;208:112500
  5. Rogers PJ, Appleton KM. The effects of low-calorie sweeteners on energy intake and body weight: a systematic review and meta-analyses of sustained intervention studies. Int J Obes (Lond). 2021;45(3):464-478
  6. Rios-Leyvraz M, Montez J. Health effects of the use of non-sugar sweeteners: a systematic review and meta-analysis. World Health Organization (WHO) 2022. https://apps.who.int/iris/handle/10665/353064 License: CC BY-NC-SA 3.0 IGO