Rückblick auf neue Forschungen zu kalorienarmen/kalorienfreien Süßstoffen und wissenschaftlichen Meilensteinen 2024
Das Wichtigste in Kürze:
- Die vorteilhafte Rolle von kalorienarm/kalorienfrei gesüßten Getränken für die Gewichtskontrolle bei Kindern und Erwachsenen wurde in einer neuen Forschungsarbeit geklärt
- Eine umfassende Literaturübersicht verwarf die weit verbreitete Annahme, wonach die Exposition gegenüber süßem Geschmack den „süßen Zahn“ verstärkt
- Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bestätigte erneut die Sicherheit von Saccharin und erhöhte die erlaubte Tagesdosis (ETD) von 5 auf 9 mg/kg Körpergewicht/Tag
Neue, 2024 veröffentlichte Forschungsergebnisse untersuchten die Vorteile und gesundheitlichen Auswirkungen kalorienarmer/kalorienfreier Süßstoffe, um qualitativ hochwertigere Nachweise für ihre Auswirkungen auf die Gewichtskontrolle und das Risiko nicht übertragbarer Krankheiten (NCD) zu liefern. Der vorliegende Artikel bietet eine Zusammenfassung ausgewählter wichtiger wissenschaftlicher Studien, die in diesem Jahr veröffentlicht wurden, sowie Neuigkeiten von wissenschaftlichen Veranstaltungen.
Klinische Studien als verlässliche Grundlage zur Bestimmung kausaler Zusammenhänge zwischen kalorienarmen/-freien Süßstoffen und gesundheitlichen Folgen
In der wissenschaftlichen Literatur gibt es eine gut beschriebene Diskrepanz bezüglich der Auswirkungen kalorienarmer/kalorienfreier Süßstoffe auf das Körpergewicht und das Risiko nicht übertragbarer Krankheiten, die auf unterschiedliche Studiendesigns und -methoden zurückzuführen ist. Eine Übersichtsarbeit von Higgins und Kollegen beschreibt ein durchgehendes Muster: Systematische Übersichten und Metaanalysen randomisierter kontrollierter Studien (RCT) zeigen einen Nutzen für die Gewichtskontrolle, insbesondere wenn Süßstoffe als Zuckerersatz verwendet werden, während Schätzungen zu den Auswirkungen auf das Gewicht aus Metaanalysen von Beobachtungsstudien eine ganze Bandbreite von Ergebnissen zeigen, die von signifikant vorteilhaft bis signifikant nachteilig reichen.1 Neue, 2024 veröffentlichte Übersichten stimmen mit diesen Ausführungen überein.
Eine Metaanalyse, die sowohl RCT als auch prospektive Kohorten beinhaltete, untersuchte die Auswirkungen kalorienarmer/-freier Süßstoffe auf Veränderungen des BMI bei Kindern und Jugendlichen.2 Die Ergebnisse aus RCT zeigten eine geringere Zunahme des BMI bei Kindern und insbesondere bei Jugendlichen, die zuckerhaltige durch kalorienarme/kalorienfreie Getränke ersetzten. Die Wirkung war bei Jugendlichen, die mit Adipositas leben, und in Langzeitstudien stärker ausgeprägt. Andererseits ergab die Metaanalyse prospektiver Kohorten keinen Zusammenhang zwischen dem Verzehr kalorienarmer/kalorienfreier Süßstoffe und Veränderungen des BMI.
In einer weiteren systematischen Überprüfung und Netzwerk-Metaanalyse von 78 RCT mit 4168 erwachsenen Teilnehmern wurden die vergleichenden Auswirkungen verschiedener Getränke (Milch, Fruchtsäfte, gesüßte Getränke und kalorienfreie Getränke) auf das Körpergewicht untersucht und diese Getränke auch mit Wasser verglichen.3 Der Verzehr von kalorienarm/kalorienfrei gesüßten Getränken war im Vergleich zu zuckerhaltigen Getränken, Fruchtsäften und auch zu Wasser die wirksamste Getränkeoption für eine Gewichtsreduktion bei Erwachsenen.
Higgins und Kollegen vertraten die Ansicht, dass systematischere Überprüfungen das Problem widersprüchlicher Ergebnisse zwischen RCT und Beobachtungsstudien nicht lösen würden.1 Anstatt zu versuchen, Daten statistisch zu kombinieren, um die komplexe Beziehung zwischen Süßstoffen und Körpergewicht zu erklären, empfehlen die Autoren, sich auf das hochwertige RCT-Studiendesign zu stützen, um kausale Zusammenhänge herzustellen, die erklären könnten, unter welchen Bedingungen der Verzehr von Süßstoffen bei der Gewichtskontrolle helfen kann.
Auf wissenschaftlichen Kongressen 2024 vorgestellte Daten bestätigen die Vorteile kalorienarmer/kalorienfreier Süßstoffe für die Gewichtsabnahme und den Gewichtserhalt in Langzeitstudien
Neue Erkenntnisse aus der Langzeitstudie Switch und dem von der Europäischen Kommission im Rahmen von Horizont 2020 finanzierten Projekt SWEET, das die langfristigen Vorteile und Auswirkungen von Süßstoffen untersuchte, wurden auf dem 31. Europäischen Kongress für Adipositas und dem 41. Internationalen Symposium für Diabetes und Ernährung vorgestellt. Die Ergebnisse zeigen einen bescheidenen Nutzen kalorienarmer/kalorienfreier Süßstoffe für den Erhalt des Gewichtsverlusts in Studien, die bis zu einem Jahr dauerten, ohne Auswirkungen auf die Blutzuckerkontrolle und auf kardiometabolische Risikomarker. 4,5
Die im Rahmen des SWEET-Projektberichts analysierten Beobachtungsdaten ergaben gemischte Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen Süßstoffen und dem Risiko von Adipositas und nicht übertragbaren Krankheiten, bei einem hohen Verzerrungspotenzial aufgrund residualer Störfaktoren und umgekehrter Kausalität. Die SWEET-Studie stellte jedoch auch eine Diskrepanz zwischen der Bewertung der Süßstoffaufnahme mit traditionellen, selbstberichteten Bewertungsmethoden wie Fragebögen zur Häufigkeit des Verzehrs von Lebensmitteln und Expositionsbewertungen anhand neu entwickelter Biomarker im Urin fest. Das verdeutlicht, dass die Exposition gegenüber Süßstoffen bei der Verwendung von Selbstberichten in Beobachtungsstudien stark unterschätzt wird.6 Kausalzusammenhänge können durch Beobachtungsergebnisse aufgrund der Einschränkungen solcher Studiendesigns nicht hergestellt werden.
Kalorienarme/kalorienfreie Süßstoffe, Exposition gegenüber süßem Geschmack und Appetitkontrolle
Logisch ist die Erwartung, dass Ernährungsempfehlungen auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Dies gilt jedoch nicht für die Empfehlung, die Exposition gegenüber süßem Geschmack in unserer Ernährung zu reduzieren, unabhängig davon, woher dieser stammt (Zucker oder Süßstoffe). Forscher einer umfassenden Literaturrecherche, die Anfang 2024 veröffentlicht wurde, stellen fest, dass es keine Belege für die gängige Hypothese gibt, wonach die Exposition gegenüber Süßem aus jeglicher Nahrungsquelle einen „süßen Zahn“ fördert.7 Diese Schlussfolgerungen gelten gleichermaßen für die Forschung an Erwachsenen und Kindern, für kalorienarme/kalorienfreie Süßstoffe und Zucker sowie für Interventions- und Kohortenstudien.
Uneinigkeit besteht auch hinsichtlich der Auswirkungen kalorienarmer/kalorienfreier Süßstoffe auf die Appetitkontrolle und die Nahrungsaufnahme. Eine systematische Überprüfung mit einer Meta-Analyse von RCT, in der die Auswirkungen kalorienarmer/kalorienfreier Süßstoffe auf die langfristige Gesamtenergie- (Kalorien-) und Makronährstoffzufuhr untersucht wurde, zeigte eine Verringerung der Gesamtenergie-, Kohlenhydrat- und Zuckeraufnahme, wenn Süßstoffe mit Zucker verglichen wurden, und keinerlei Auswirkungen beim Vergleich mit Wasser.8 Diese Ergebnisse sprechen nicht für eine erhöhte Nahrungsaufnahme durch Süßstoffe. Ebenso wenig unterstützen die Forschungsergebnisse negative Auswirkungen kalorienarmer/kalorienfreier Süßstoffe auf die Appetitkontrolle.
Die Vorstellung der Ergebnisse aus dem SWEET-Projekt auf den Französischen Ernährungstagen 2024 bestätigen: kalorienarm/kalorienfrei gesüßte Lebensmittel haben keinen Einfluss auf die Appetitkontrolle
Neue Erkenntnisse aus akuten und mittelfristigen Studien des von der Europäischen Kommission im Rahmen von Horizont 2020 finanzierten Projekts SWEET wurden auf den Französischen Ernährungstagen (JFN 2024) vorgestellt. Diese Studien untersuchten die Auswirkungen der akuten und wiederholten Exposition gegenüber Süßstoffmischungen in Getränken, halbfesten und festen Lebensmitteln auf den Appetit und die endokrinen Reaktionen.9 Im Allgemeinen hatten Getränke und Lebensmittel mit verschiedenen Mischungen aus kalorienarmen/kalorienfreien Süßstoffen keine nachteiligen Auswirkungen auf Appetitmessungen, während in einigen Fällen im Vergleich zu zuckergesüßten Produkten positive Auswirkungen auf die postprandiale Insulin- und Glukosereaktion auftraten.10 Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Lebensmittelmatrix eine Rolle bei der Gesamtwirkung spielt.
Neubewertung von Saccharin durch die EFSA: Sicherheit erneut bestätigt und ETD erhöht
Bei ihrer Neubewertung von Saccharin und Saccharin-Salzen kam die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zu dem Schluss, dass Saccharin und seine Natrium-, Kalium- und Calciumsalze für den menschlichen Verzehr unbedenklich sind, und erhöhte die erlaubte Tagesdosis (ETD) von 5 mg/kg Körpergewicht pro Tag (das entspricht für Natriumsaccharin 3,8 mg/kg KG Saccharin täglich als freies Imid) auf 9 mg/kg KG/Tag Sacharin als freies Imid.11 Es wurde auch bestätigt, dass die chronische Exposition gegenüber Saccharin selbst bei hohen Verzehrmengen unter der ETD lag, wie durch konservative Bewertung von Expositionsszenarien geschätzt wurde.
Das EFSA-Gremium für Lebensmittelzusatzstoffe und Aromastoffe bewertete Daten, die von Januar 1994 bis Februar 2024 veröffentlicht wurden, d. h. alle verfügbaren Studien, die nach der vorherigen Bewertung von Saccharin in Europa im Jahr 1995 veröffentlicht wurden, sowie Daten, die im Rahmen eines Informationsaufrufs der EFSA zusammengetragen wurden. Die Sachverständigen der EFSA befolgten strukturierte, zuvor von der EFSA erstellte Protokolle für die Bewertung der verfügbaren Daten aus Tier- und Humanstudien, in denen eine Reihe von Endpunkten über die toxikologischen Wirkungen hinaus untersucht wurden, darunter Auswirkungen auf das Körpergewicht, auf die Glukose-/Insulinhomöostase, auf das Krebsrisiko und auf kardiovaskuläre Risikofaktoren.
Die Neubewertung von Saccharin war Teil des Programms zur Neubewertung von Lebensmittelzusatzstoffen in der Europäischen Union (EU). Auf Ersuchen der Europäischen Kommission hat die EFSA die Sicherheit aller Lebensmittelzusatzstoffe, einschließlich der Süßstoffe, die bereits vor dem 20. Januar 2009 auf dem EU-Markt zugelassen waren, neu bewertet. Aspartam war der erste Süßstoff, der diesen gründlichen Neubewertungsprozess durch die EFSA durchlaufen hat, wobei seine Sicherheit erneut bestätigt wurde12 (der globale JECFA hat die Sicherheit von Aspartam 2023 ebenfalls erneut bestätigt). Auch für Thaumatin13, Neohesperidin DC14 und Erythritol15 wurde die Sicherheitsbewertung abgeschlossen und die Sicherheit erneut bestätigt.
Die Aufnahme kalorienarmer/kalorienfreier Süßstoffe liegt weltweit unter den zulässigen Werten
Experten für Toxikologie und Lebensmittelwissenschaft sprachen auf wissenschaftlichen Symposien, die von der ISA im Rahmen des Kongresses der Iberoamerikanischen Stiftung für Ernährung (FINUT 2024) und der Französischen Ernährungstage (JFN 2024) organisiert wurden, über die Regulierungs- und Sicherheitsbewertungsverfahren globaler und europäischer Behörden für Lebensmittelsicherheit.
Bei diesem Sicherheitsbewertungsprozess beurteilen die Behörden Daten zur Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechselung und Ausscheidung (ADME) eines Süßstoffs, kurz- und langfristige toxikologische Studien, Daten zur Mutagenität, Karzinogenität und Fortpflanzung sowie alle Arten von klinischen und epidemiologischen Studien am Menschen, und legen eine erlaubte Tagesdosis (ETD) für alle Bevölkerungsgruppen fest. Die Bewertung der tatsächlichen Exposition durch die Ernährung ist ebenfalls Teil der Evaluierung. Daten aus der ganzen Welt bestätigen, dass die Verzehrmengen von kalorienarmen/kalorienfreien Süßstoffen selbst bei Vielverzehrern deutlich unter der ETD liegen. In lateinamerikanischen Ländern wie Chile, wo die Lebensmittelumformulierung in den letzten Jahren nach der Einführung von Gesetzen zur Kennzeichnung auf der Vorderseite von Verpackungen sehr umfangreich war, zeigen die Daten einen sicheren Verzehr, der für alle zugelassenen LNCS immer unter der ETD liegt.
Ernährungsempfehlungen sollten auf den hochwertigsten verfügbaren Nachweisen beruhen
Die Tatsache, dass eine WHO-Richtlinie zur Verwendung von nicht zuckerhaltigen Süßstoffen16 sich auf Beobachtungsstudien stützt, wurde in diesem Jahr in wissenschaftlichen Publikationen kritisiert und auf wissenschaftlichen Veranstaltungen diskutiert. Higgins et al. vertraten die Ansicht, dass Ernährungsempfehlungen auf etablierten Kausalzusammenhängen basieren sollten, die im Rahmen hochwertiger RCT ermittelt werden. 1
In einem gemeinsamen Webinar der Iberoamerikanischen Stiftung für Ernährung (FINUT) und der ISA wurde hervorgehoben, dass es eine Übereinstimmung zwischen den Ergebnissen randomisierter kontrollierter Studien und den Ergebnissen prospektiver Kohortenstudien mit fortschrittlicher Veränderungs- und Substitutionsanalyse gibt. Die Ergebnisse stützen die nützliche Rolle kalorienarmer/kalorienfreier Süßstoffe bei der Gewichtskontrolle und eine neutrale oder leicht positive Wirkung auf kardiometabolische Risikofaktoren, wenn Süßstoffe anstelle von Zucker verwendet werden.17 Sie können das ISA-FINUT-Webinar „Wissenschaftliche Erkenntnisse zu kalorienarmen/-freien Süßstoffen: von der Sicherheitsbewertung zu evidenzbasierten Empfehlungen und neuen Forschungsergebnissen“ auf Abruf ansehen, wenn Sie hier klicken: https://www.sweeteners.org/events/isa-finut-webinar-science-update-on-lncs/
Wir hoffen, dass Ihnen der Artikel zum Jahresrückblick 2024 gefallen hat. Auch nächstes Jahr wird die ISA wieder Fachleuten aus dem Gesundheitswesen, Forschern, Aufsichtsbehörden, politischen Entscheidungsträgern, Medien und Verbrauchern die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu kalorienarmen/kalorienfreien Süßstoffe präsentieren.
Wir wünschen Ihnen ein gutes und gesundes neues Jahr!