Wie lassen sich kalorienarme/-freie Süßstoffe bei Diabetes einsetzen? Welchen Nutzen haben sie?

Eine kritische Überprüfung des aktuellen Kenntnisstands vor dem Hintergrund einer neuen, systematischen Untersuchung von Lohner et al.

Vicky Pyrogianni MSc, Dietitian – Nutritionist; Nutrition Science Director, ISA

Die wichtigsten Aspekte:

  • Kalorienarme/-freie Süßstoffe beeinträchtigen nicht die Blutzuckerkontrolle, Personen mit Diabetes können sie bedenkenlos konsumieren.
  • Der Verzehr von Lebensmitteln mit kalorienarmen/-freien Süßstoffen statt Zucker bewirken im Vergleich zu zuckerhaltigen Speisen ein geringeres Blutzuckerrisiko nach dem Essen.
  • Kalorienarme/-freie Süßstoffe ermöglichen Diabetikern den Genuss süßer Speisen und Getränke mit weniger oder ganz ohne Zucker.

Menschen mit Diabetes haben einen einfach Grund dafür, Speisen oder Getränke zu wählen, die mit kalorienarmen/-freien Süßstoffen statt Zucker gesüßt sind: Süßes auf dem Speiseplan genießen und dennoch die tägliche Menge an Zucker und Kalorien in der Ernährung reduzieren, ohne die Blutzuckerkontrolle zu gefährden. Laut der American Diabetes Association können Änderungen der Ernährungsgewohnheiten mit dem Ziel einer Reduzierung der Aufnahme von Kohlenhydraten einschließlich Zucker sowie Kalorien die Kontrolle von Blutzucker, Gewicht und kardiometabolischen Risiken verbessern.1

Zugleich wollen Diabetiker aber auch die Gewissheit haben, dass der Verzehr kalorienarmer/-freier Süßstoffe keine negativen Auswirkungen auf die Blutzuckerkontrolle oder die Gesundheit im Allgemeinen haben. Die Sicherheit zugelassener kalorienarmer/-freier Süßstoffe auch für Menschen mit Diabetes wurde von Gesundheitsbehörden in aller Welt wiederholt bestätigt. Auf der Grundlage zahlreicher in Studien veröffentlichter Nachweise vertreten die Gesundheitsbehörden zudem die Ansicht, dass sich kalorienarme/-freie Süßstoffe nicht negativ auf die Blutzuckerkontrolle auswirken.

Einigen Experten zufolge ist jedoch die Frage nach den positiven Auswirkungen kalorienarmer/-freier Süßstoffe nach wie vor offen. In einer kürzlich veröffentlichten, systematischen Studie mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben Lohner et al die langfristigen Auswirkungen von Süßstoffen auf die Glykämie untersucht.2

Analyse der Ergebnisse von Lohner et al: Sind kalorienarme/-freie Süßstoffe nützlich oder schädlich für Menschen mit Diabetes?

Laut den Ergebnissen der im Mai 2020 veröffentlichten, systematischen Untersuchung Lohners und seiner Kollegen wurden im Vergleich zu Kontrollgruppen (Placebo und Zucker) weder Hinweise auf Behandlungsschäden noch negative Auswirkungen kalorienarmer/-freier Süßstoffe auf das glykosylierte Hämoglobin (HbA1c) als Indikator einer langfristigen -Kontrolle beobachtet. Genau diese Wirkungslosigkeit musste man von kalorienarmen/-freien Süßstoffen erwarten – sprich: Als Lebensmittelzusatzstoffe sollen sie eben gerade keinerlei pharmakologische Glykämie-Effekte haben. Die Autoren stellen jedoch fest, dass die Befunde zu einem klaren Nutzen oder zu Nachteilen der Verwendung von Süßstoffen unschlüssig sind. Es stellen sich also folgende Fragen: Bedeuten die Ergebnisse der Studie, dass Süßstoffe keinen Nutzen haben? Kann ihre Verwendung auf irgendeine Weise schädlich sein?

Wurden nützliche Wirkungen nachgewiesen? Ja, es besteht ein Nutzen des Verzehrs kalorienarmer/-freier Süßstoffe anstelle von Zucker, und das haben nicht nur neuer Studien bestätigt, sondern auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).3,4 Unlängst hat eine systematische Auswertung von 29 Studien zu den akuten Auswirkungen kalorienarmer/-freier Süßstoffe auf die Glykämie ergeben, dass ihr Verzehr die postprandialen Blutzuckerwerte (also nach dem Essen) nicht erhöht und dass dieser Effekt bei allen Arten von Süßstoffen gleich ist.3Zieht man in Betracht, dass Zucker – wie alle sonstigen Kohlenhydrate auch – nach dem Verzehr einen Anstieg der Blutzuckerwerte bewirkt, macht das Ausbleiben einer glykämischen Wirkung nach dem Verzehr kalorienarmer/-freier Süßstoffe diese zu einem nützlichen ernährungsphysiologischen Hilfsmittel für Menschen mit Diabetes, erläutern die Forscher. Nachweise der positiven Auswirkungen kalorienarmer/-freier Süßstoffe auf die postprandialen Blutzuckerwerte wurden von Lohner at al in ihrer Untersuchung nicht berücksichtigt, doch die EFSA tat dies 2011 sehr wohl und kam zu dem Schluss: „Der Verzehr von Speisen mit kalorienarmen Süßstoffen statt Zucker geht im Vergleich zu zuckerhaltigen Speisen mit einem geringeren Blutzuckerrisiko nach dem Essen einher.“4 Man muss unbedingt klarstellen, dass der potentielle Nutzen kalorienarmer/-freier Süßstoffe bei Diabetes darin besteht, dass sie die Glykämie-Kontrolle unter Alltagsbedingungen ermöglichen und zum Beispiel Menschen mit Diabetes die Möglichkeit geben, süß schmeckende Speisen und Getränke zu genießen, ohne dadurch glykämische Schwankungen zu verursachen.

Ergeben sich aus der Untersuchung von Lohner et al Nachweise für schädliche Auswirkungen auf den Metabolismus? Nein. Die Untersuchung fand keine Hinweise auf schädliche Auswirkungen auf dem Metabolismus, also etwa eine Beeinträchtigung der Glykämie-Kontrolle oder sonstige negative Folgen des Verzehrs von Süßstoffen. Laut den Experten sind dahingehende Aussagen, potentielle Schädigungen könnten nicht ausgeschlossen werden, lediglich darauf zurückzuführen, dass entsprechende Nachweise eben fehlen. Ebenso lägen jedoch keinerlei Nachweise schädlicher Wirkungen vor.5 Festzuhalten ist, dass die Sicherheit zugelassener kalorienarmer/-freier Süßstoffe einschließlich des Nichtvorhandenseins schädlicher Auswirkungen auf den Metabolismus von Menschen mit Diabetes wiederholt von Gesundheitsbehörden in aller Welt bestätigt wurde, darunter nach Sichtung aller vorliegenden Untersuchungen das Expertenkomitee der WHO/FAO für Lebensmittelzusatzstoffe (Joint Food and Agriculture Organization/World Health Organization Expert Committee on Food Additives, JECFA), die US Food and Drug Administration (FDA) und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).

Grenzen der Studie: Die Studie unterliegt auch einer Reihe von Einschränkungen. Aus methodologischer Sicht stammen die Gruppendaten der Meta-Analysen aus Studien zur Bewertung unterschiedlicher Süßstoffe, obgleich die Wirkungen der einzelnen Stoffe auf den Stoffwechsel unterschiedlich sind. Es fehlen hingegen Untersuchungen zu Teilgruppen verschiedener Süßstoffarten und verschiedener Arten von Diabetes.

Quintessenz

Kalorienarme/-freie Süßstoffe bieten Diabetikern eine wichtige Alternative zu Zucker, denn sie beeinflussen nicht die Glykämie-Kontrolle.6 Tatsächlich verursachen kalorienarme/-freie Süßstoffe als Zuckerersatz einen geringeren Anstieg der postprandialen Blutzuckerwerte (also nach dem Essen).4 Es ist für die Glykämie-Kontrolle von entscheidender Bedeutung, die postprandialen Blutzuckerwerte in einem gesunden Rahmen zu halten. Und die Glykämie-Kontrolle ist in der Diabetesbehandlung eines der wichtigsten Ziele überhaupt. Daher schätzen Menschen mit Diabetes kalorienarme/-freie Süßstoffe, denn sie können ein wichtiges Hilfsmittel bei der Kontrolle der Kohlenhydratzufuhr sein – einem wichtigen Aspekt der Diabeteskontrolle also. Dank diesem Hilfsmittel können auch Diabetiker süß schmeckende Speisen und Getränke genießen und dennoch weniger oder gar keine Kalorien aufzunehmen.

  1. Evert AB, Dennison M, Gardner CD, Garvey WT, Lau KHK, MacLeod J, Mitri J, Pereira RF, Rawlings K, Robinson S, Saslow L, Uelmen A, Urbanski PB, Yancy Jr. WS. Nutrition Therapy for Adults with Diabetes or Prediabetes: A Consensus Report. Diabetes Care. 2019 May;42(5):731-754
  2. Lohner S, Kuellenberg de Gaudry D, Toews I, Ferenci T, Meerpohl JJ. Non-nutritive Sweeteners for Diabetes Mellitus. Cochrane Database of Systematic Reviews 2020 May 25;5:CD012885. Doi 10.1002/14651858.CD012885.pub2
  3. Nichol AD, Holle MJ, An R. Glycemic impact of non-nutritive sweeteners: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Eur J Clin Nutr 2018; 72: 796-804
  4. EFSA. Scientific opinion on the substantiation of health claims related to intense sweeteners. EFSA Journal 2011, 9(6), 2229. Available online: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.2903/j.efsa.2011.2229/epdf
  5. Ashwell MA, Gibson S, Bellisle F, Buttriss J, Drewnowski A, Fantino M, Gallagher AM, de Graaf K, Goscinny S, Hardman CA, Laviada-Molina H, López-García R, Magnuson B, Mellor D, Rogers P, Rowland I, Russell W, Sievenpiper J, la Vecchia C. Expert consensus on low calorie sweeteners: facts, research gaps and suggested actions. Nutr Res Rev. 2020 Jan 13:1-10. doi: 10.1017/S0954422419000283. [Epub ahead of print]
  6. Diabetes UK. The use of low or no calorie sweeteners. Position Statement (Aktualisiert im Dezemberr 2018). Verfügbar unter: https://www.diabetes.org.uk/professionals/position-statements-reports/food-nutrition-lifestyle/use-o…